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Gesundheit

Das sollten Sie wissen: Erschreckende Fakten zum Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein

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Mit dem Landrat Jörg Denninghoff wird es weitergehen mit dem Paulinenstift in Nastätten
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NASTÄTTEN/KOBLENZ In den vergangenen Tagen durfte man einiges zum Paulinenstift in Nastätten lesen, doch was stimmte da eigentlich noch? Und wie kommt es zu den besorgniserregenden Nachrichten zum Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein aus Koblenz und Mayen? Während der Rhein-Lahn-Kreis Landrat Jörg Denninghoff in den Printmedien unter anderem dafür kritisiert wurde, dass er sich geweigert haben soll, gesammelte Unterschriften für den Erhalt des Paulinenstifts in Nastätten anzunehmen, haben wir uns jetzt einmal nicht nur damit, sondern mit Zahlen und Fakten zum GKM beschäftigt, und was dabei herauskam, ist mehr als bemerkenswert. Die Menschen dürfen und sollen wissen, wer die Verhandlungen führt, welche Zahlen das GKM tatsächlich aufzuweisen hat, wer davon profitiert und welche erstaunlichen Verflechtungen es dabei gibt. Doch beginnen wir bei den jüngsten Ereignissen.

Landrat wollte keine Unterstützerunterschriften annehmen?

Am 9. Mai gab es in Nastätten eine kurzfristig einberufene Versammlung zum Erhalt des Krankenhausstandorts. Persönlich eingeladen wurde der Landrat Jörg Denninghoff kurioserweise nicht von den Organisatoren, und dennoch war er dort erschienen, um sich mit den Menschen zu solidarisieren. Medienwirksam sollte an dem Tag von den Veranstaltern eine von 5500 Personen unterschriebene Petition für das Paulinenstift an den Landrat übergeben werden. In seiner Rede auf dem Marktplatz betonte Jörg Denninghoff, dass die Menschen und Mitarbeiter nicht in Panik geraten sollten, da es dafür keine Gründe geben würde. Die Schließung des Standorts ist für den Landrat keine Option. Vielmehr geht es um die Frage, ob das Krankenhaus in Eigenregie mit dem Kreis oder weiterhin mit dem GKM betrieben wird. Um das überhaupt beurteilen zu können, braucht es verlässliche Zahlen, und die hatten die Verantwortlichen des GKM bislang nicht geliefert. Erst wollten sie eine unterschriebene Absichtserklärung haben, aus der hervorgeht, dass sich der Rhein-Lahn-Kreis in Zukunft an den Kosten für das Paulinenstift beteiligen würde. Würden Sie ein gebrauchtes Auto kaufen, ohne eine Probefahrt zu machen und sich nicht wenigstens einmal einen TÜV-Bericht anzusehen? Genau das wird aber von den Landkreisen Rhein-Lahn und Rhein-Hunsrück verlangt! 

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Aktuell entscheiden die kommunalen Träger durch ihr mehrheitliches Stimmrecht im GKM nahezu alleine, wie es weitergehen wird mit dem Krankenhauszusammenschluss. Vorsitzender der Gesellschafterversammlung ist der Mayener Landrat Dr. Alexander Saftig. Wem, außer ihm, hätte man die Unterschriften sinnvollerweise übergeben sollen? Genau diese forderten die Schließung der Krankenhausstandorte Boppard und Nastätten, ohne jemals zuvor die Fragen der Landräte Volker Boch und Jörg Denninghoff beantwortet zu haben. (Am Ende unseres Artikels finden Sie dazu ein Video. In der Minute 0:33 teilt der Landrat Denninghoff mit: »Die Unterschriften werde ich definitiv mitnehmen, aber dem anderen Landrat (Dr. Saftig) übergeben, denn er muss überzeugt werden und nicht ich«.)

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Schon mehrfach bekundeten beide Landräte, dass sie bereit sind, sich finanziell an den Kosten der beiden Hospitäler zu beteiligen. Nastätten gilt als bedarfsnotwendig, und damit ist nicht nur das Land in der Verantwortung, sondern auch der Kreis, sofern es keine Zusammenarbeit mit dem GKM oder andere Trägerschaft geben wird.

Mit dem Landrat Jörg Denninghoff und seiner Verwaltung wird es weitergehen mit dem Paulinenstift, aber ob unter der Flagge des GKM oder des Kreises muss geklärt werden, und dafür braucht es verlässliche Zahlen, die es bisher nicht gab von den Verantwortlichen aus Mayen und Koblenz. Weiter wurde in den Medien behauptet, dass sich nicht wenige gewundert hätten, dass der Landrat bei der letzten Sitzung des Kreisausschusses abwesend war, obwohl allen Beteiligten bekannt war, dass der Landrat im Monate vorher geplanten Jahresurlaub ist. Die Verwunderung dürfte tatsächlich eher gering gewesen sein, immerhin leitete die 1. Beigeordnete Gisela Bertram die Sitzung. Wir reden dabei von der Person, die monatelang den erkrankten ehemaligen Landrat Frank Puchtler vertrat und dessen Amtsgeschäfte weiterführte. Für eine medial geforderte Symbolpolitik dürften weder Denninghoff noch Bertram bei so wichtigen Themen zu haben sein. Hier geht es um Existenzen und medienwirksam geschürte Ängste, die ohne Substanz sind, da eine Schließung des Krankenhausstandortes in Nastätten, für die Verantwortlichen im Bad Emser Kreishaus nicht zur Debatte steht.

Zahlen und Fakten zum GKM

Obwohl das GKM 2015 und 2016 knapp 7,6 Millionen Verlust machte, gab es im berechneten Gesamtzeitraum von 2014 bis 2018 einen Gewinn in Höhe von etwa 3,24 Millionen Euro. 2019 steht ein Defizit in den Büchern in Höhe von mehr als 22 Millionen Euro. In den Coronajahren 2020 stehen ebenfalls Miese in Höhe von mehr als 4 Millionen Euro und 2021 knapp 10 Millionen Euro. 2022 soll es wieder einen Gewinn in Höhe von mehr als 2,5 Millionen Euro gegeben haben. Somit steht von 2014 bis 2022 ein Verlust in Höhe von knapp 34 Millionen Euro in den Büchern. Man muss an dieser Stelle unterscheiden zwischen dem Liquiditätsbedarf bis Ende 2024, der bei etwa 20 Millionen Euro liegen wird, und den realen Verlusten in jedem Jahr, die an die Substanz des Eigenkapitals gehen. Wie eine solche verheerende Bilanz zustande kommt, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Die Leitung und Verantwortung mit maßgeblichem Stimmrecht in der Zeit haben der Landkreis Mayen-Koblenz und die Stadt Koblenz.

Management

Boppard und Nastätten wird vorgeworfen, dass sie an der Misere Schuld wären, da beide Krankenhäuser Verluste erwirtschaften. Bisher war es so, dass die starken Krankenhäuser, die finanziell schwächeren Standorte mitgetragen haben. Gerade bei Nastätten war bekannt, dass es bedarfsnotwendig ist. Hier geht es um eine vollkommen andere Konzeption für die Versorgung der Menschen im ländlichen Raum und nicht in einem Ballungsgebiet wie Koblenz. Dennoch gab es bereits 2022 für die Standorte Boppard und Nastätten von dem Träger Sana Konzepte, um diese Krankenhäuser von ihren Verlusten wegzubringen. Anstatt diese Ideen ernsthaft in Erwägung zu ziehen, wurden jahrelange Verhandlungen zum Gesamtkonstrukt GKM mit der Sana geführt, die letztendlich aus bekannten Gründen zum millionenschweren Rentenfonds scheiterten. Kurz darauf sickerten Gesprächsinhalte aus nicht öffentlichen Sitzungen an verschiedene Medienvertreter. Selbst ein eilig erstelltes Sanierungskonzept mit der Information, dass die Standorte Nastätten und Boppard geschlossen werden sollten, durften die Landräte der Kreise Rhein-Lahn und Rhein-Hunsrück aus der Zeitung erfahren, statt direkt darüber informiert zu werden.

Hier wurde in den betreffenden Medien für eine Schlagzeile bewusst mit den Ängsten der Mitarbeiter und Menschen in der Region gespielt, wohl wissend, dass der Standort Nastätten gar nicht geschlossen werden konnte oder sollte vom Rhein-Lahn-Kreis und Land aus. Seriös und vertrauensvoll transparent von den Verantwortlichen des GKM dürfte anders aussehen. Die Landräte Denninghoff und Volker Boch ließen sich nicht von der Vorgehensweise beeindrucken und forderten in einem offenen Brief, dass ihre Fragen endlich beantwortet werden und die Fakten auf den Tisch kommen, damit auf Augenhöhe mit den Entscheidungsträgern des GKM verhandelt werden kann.

Soweit ist es noch nicht. Eine konkrete Beteiligung an den Zukunftsgesprächen wurde nicht angeboten. Richtig interessant wird es jetzt.

Verantwortliche Personen zum und beim GKM und deren Posten

In vielen Rechtsfragen wird das Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein von der Koblenzer Anwaltskanzlei Martini, Moog, Vogt oder kurz MMV vertreten. Laut deren Webseite sind dort aktuell 31 Anwälte für die Kanzlei beschäftigt. Einer davon ist der ehrenamtliche CDU-Fraktionsvorsitzende im Landkreis Mayen-Koblenz Georg Moesta, der auch gleichzeitig geschäftsführender Partner der MMV Anwaltskanzlei ist.  Ein Ehrenamt unterliegt der Verschwiegenheitsverpflichtung.

Zudem ist er Mitglied im Verwaltungsrat der Kreissparkasse Mayen und der Sparkasse Koblenz. Verwaltungsratsvorsitzender der Kreissparkasse Mayen ist Dr. Alexander Saftig, der gleichzeitig auch Vorsitzender der Gesellschafterversammlung des GKM ist. Zugleich ist er ebenfalls CDU Mitglied. Von der Sparkasse Koblenz hat der Oberbürgermeister David Langner (SPD) das Amt des Verwaltungsratsvorsitzenden inne. Die vorgenannten Kreditinstitute sollen zu den Banken gehören, welche die Kreditlinie nicht mehr verlängern wollen. Bisher lebten die Banken gut von den Kreditlinien oder auch möglichen Überziehungen. Alle Kredite oder Überziehungen konnten bislang bedient werden. Doch nach dem Aus der Verhandlungen mit dem möglichen Übernahmepartner Sana wurde angedeutet, dass die Banken plötzlich nicht mehr mitspielen und somit eine Insolvenz drohen würde. Die MMV Kanzlei ist juristischer Partner der GKM. Mehr als 400.000 Euro zahlte das GKM an Anwaltskosten für die Jahre 2019 bis 2022.

Konsequenzen für den Rhein-Lahn-Kreis

Die Landkreise Rhein-Lahn und Rhein-Hunsrück möchten ihre Krankenhäuser retten. Dies ist nicht nur gesetzlich geregelt, sondern auch der Wille der Landräte und der Fraktionen in den jeweiligen Landkreisen. Wie der bisherige angenommen Verlust der Klinik Nastätten in angenommenen Höhen von 2 bis 3 Millionen Euro sich zusammensetzt, ist unklar. Ob das Paulinenstift für die Zukunft gewinnbringend aufgestellt werden kann, darf bezweifelt werden, aber der Standort ist alternativlos für die Menschen im Rhein-Lahn-Kreis und somit ist eine Schließung kein Thema für die Kreisverwaltung.

Kommentar

Vieles darf in der Vorgehensweise und der Konstellation hinterfragt werden. Dazu gehört sicherlich auch, ob die Sparkassen Mayen und Koblenz Verwaltungsratsvorsitzenden Dr. Alexander Saftig (KSK Mayen), der gleichzeitig auch Vorsitzender der GKM Gesellschafterversammlung ist und David Langner (Sparkasse Koblenz) keinen Einfluss auf Kreditlinien und Überziehungen des GKM haben und somit tatenlos zusehen mussten, wie zukünftig der Geldhahn zugedreht werden könnte. In einem Krankenhauszusammenschluss ist es nicht unüblich, dass große Kliniken die Mindereinnahmen von kleinen Häusern ausgleichen. Eine Solidargemeinschaft. Genau das war über Jahre nie in Frage gestellt worden, erst nachdem die Verhandlungen mit der Sana gescheitert sind. Mit den Kliniken in Nastätten und Boppard waren schnell die Sündenböcke ausgemacht. 22 Millionen Euro Defizit alleine in 2019, von dem die Häuser in Nastätten und Boppard am wenigsten Anteil haben, aber wer zieht sich denn nun den Schuh an und übernimmt Verantwortung für die vergangenen Jahre? Anscheinend nicht die, welche das GKM in die verheerende Situation über die Jahre gesteuert haben. Dort wird sich weggeduckt und schnell auf Nebenkriegsschauplätze verwiesen. Und jetzt kommen wir wieder zum Anfang. Für Symbolpolitik ist der Landrat Jörg Denninghoff gerade nicht zu haben und schon gar nicht für die großen polemischen Reden. Eine Schwäche? Zuhören ist eher seine Stärke und das ist eine Kunst, auf die es jetzt tatsächlich ankommt.

„Und nun? Zurücklehnen und entspannen. Mit Jörg Denninghoff wird es keine Schließung des Paulinenstifts in Nastätten geben. Es ist nicht die Aufgabe der Medien, die große Schlagzeile zu suchen und die Menschen in Panik zu versetzen, sondern vielmehr sachlich aufzuklären. Mit dem Krankenhaus in Nastätten wird es weitergehen, solange die Fraktionen im Kreishaus zusammenhalten, und daran hegen wir keinen Zweifel, denn in solch einer Situation stehen die Menschen zusammen. Schön!“

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Gesundheit

Tolles Engagement: 14 Ehrenamtler lassen sich zum Hospizbegleiter ausbilden!

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Foto: Ellen Alsbach
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NASSAU Vierzehn Frauen und Männer lassen sich derzeit von den Ambulanten Hospizdiensten Rhein-Lahn zum/zur ehrenamtlichen Hospizbegleiter/in qualifizieren. Dabei geht es um die Sterbebegleitung sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. Jetzt waren die Teilnehmer/innen im Altenheim Hohe Lay in Nassau zu Gast.

Es war ein sehr gelungener Nachmittag. Die Kursteilnehmer/innen konnten viele neue Eindrücke und weitere Methoden und Erkenntnisse in der Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase mitnehmen“, bedankte sich Hospizkoordinator Jürgen Ackermann bei den Verantwortlichen im Haus Hohe Lay, einem Kooperationspartner der Hospizdienste, für den einfühlsam gestalteten Nachmittag.

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Antje Illing, stellvertretende Leitung soziale Betreuung des Hauses Hohe Lay, hatte die zukünftigen Hospizbegleiter/innen in Empfang genommen und den Umgang in der Palliativversorgung der Bewohner in der letzten Lebensphase in einem sehr umfangreichen Vortrag anschaulich vermittelt. Anschließend wurden praktische Handhabungen zum Beispiel bei der Aromatherapie, basalen Stimmulation oder bei der Mundpflege mit Selbstübungen erprobt. Die Kombination von Aromatherapie und basaler Stimulation verstärkt die positiven Effekte beider Methoden und schafft eine umfassende Unterstützung für den Sterbenden. Der beruhigende Duft von ätherischen Ölen kann das Wohlbefinden zusätzlich fördern, während die sanften Berührungen der basalen Stimulation ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln. Zusammen tragen sie dazu bei, die letzten Tage und Stunden des Lebens möglichst friedlich in einer Atmosphäre des Vertrauens zu gestalten.

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Der umfangreiche Hausrundgang über alle Wohnbereiche wurde im „Raum der Stille“ abgeschlossen. Hier haben die Angehörigen noch einmal die Möglichkeit, sich von ihren Lieben zu verabschieden (Text: Christine Vary).

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Das Projekt Ärztehaus in Singhofen geht weiter

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Foto: Gemeinde SInghofen
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SINGHOFEN Es ist jetzt ein gutes Jahr her, dass auf dem Grundstück unterhalb des Zustellstützpunktes der Deutschen Post in Singhofen das Areal für das Zukunftsprojekt „Ärztehaus mit Apotheke“ abgesteckt wurde. Seitdem ist einiges passiert: Die Bauphasen 1-3 (Grundlagenermittlung, Vorplanung und Entwurfsplanung) sind abgeschlossen. Nach einer Sitzung des Ortsgemeinderates am 9.9.2024 sollte in der Bauphase 4 (Genehmigungsplanung) aufgrund der dann vorliegenden Kostenschätzung über das weitere Vorgehen entschieden werden.

Nach damaligem Beschluss sollen die Kosten auf eine Höhe von 2.250.000 Euro einschließlich Grundstück und abzüglich LEADER-Förderung in Höhe von 250.000 Euro begrenzt werden, sodass aus der Rücklage maximal 2.000.000 Euro entnommen werden müssen. Inzwischen befinden wir uns in der Bauphase 4 und der Ortsgemeinderat musste in seiner Sitzung am 10.3.2025 aufgrund der umfangreichen Planzahlen aller Gewerke darüber entscheiden, ob und wie es weitergeht. Herr Maxeiner, der für die gesamte Maßnahme die Steuerung übernommen hat, stellte in der nicht-öffentlichen Sitzung, an der auch der Bauausschuss teilnehmen durfte, alle Details zum Gebäude vor. Demnach lag die Kostenschätzung bei ca. 2.550.000 Euro und überschritt abzüglich der Förderung die geplante Investition um 300.000 Euro. Seitens des Rates wurde der Bau des Ärztehauses ohne Apotheke ins Spiel gebracht, die geschätzten Kosten liegen hier bei 1.860.000 Euro.

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Auf dieser Grundlage beschloss der Ortsgemeinderat den Bau des Ärztehauses ohne Apotheke. Die dadurch erforderlichen Änderungen in der Planung und die notwendige Anpassung des Bebauungsplanes könnten zu leichten Verzögerungen führen, dennoch hat Herr Maxeiner mit einem Antrag auf vorzeitigen Baubeginn die Fertigstellung im Sommer 2026 in Aussicht gestellt.

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Leben bis zuletzt: Ein Besuch im Nassauer Hospiz, der alles verändert

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Foto: BEN Kurier
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NASSAU Anthony Hopkins sagte einmal: „Keiner von uns kommt hier lebend raus. Also hört auf, Euch wie Andenken zu behandeln. Esst leckeres Essen, spaziert in der Sonne, springt ins Meer, sagt die Wahrheit und tragt Euer Herz auf der Zunge. Seid albern, komisch und freundlich, denn für nichts anderes ist Zeit.“ Er hat so Recht.

Vor ein paar Tagen waren wir zum Pressegespräch ins Hospiz in Nassau eingeladen. Seit Tagen versuche ich zu begreifen, was dort geschehen ist und wie ich es in Worte fassen kann. Neben mir sitzt Dr. Schencking, der Initiator des Hospizes in Nassau, dazu die Hospizleitung Hanne Benz und die stellvertretende Pflegedienstleitung Kerstin Vogt. Auf dem Tisch stehen Plätzchen, dazu Kaffee und Wasser. Seit gut zwei Monaten ist das Hospiz geöffnet. Es war ein langer Weg und ein harter Kampf, doch heute sollte mir klar werden, wie wertvoll das Haus ist.

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Vor dem Tod blicken wir nur zu gerne weg. Es ist etwas, womit wir uns nicht beschäftigen wollen und was wir ausblenden. Oh Anthony, du wirst in der Geschichte noch so recht behalten. An der Stelle könnte eigentlich alles enden, bevor es angefangen hat, wenn uns nicht ein Spiegel vor Augen gehalten worden wäre. Mit „wir“ ist an der Stelle der Kollege der Printpresse gemeint, den ich an dem Tag nicht als Konkurrenten betrachtete, sondern ihn vielmehr beobachtete, um zu fühlen, was er spüren würde. Vorab: Meine Achtung ist da gewaltig gestiegen.

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Nadine Raab aus München betritt den Raum. Die Mitvierzigerin hält einen langen, handgeschriebenen Zettel in der Hand. Das kennt man so gar nicht mehr. Mit Füllfederhalter schien sie die Worte vorbereitet zu haben, die sie der Presse mitteilen wollte. Nadine ist Angehörige. Ihr Vater ist als Gast ins Hospiz zum Sterben gekommen. Ja, Gast, wie uns die stellvertretende Pflegedienstleiterin erklärt. Es gibt keine Patienten mehr im Hospiz. Es soll ein Ort sein, wo man aufleben darf. Leben. So surreal in dem Augenblick. Und doch ist es so. Man kommt nicht ins Hospiz zum Sterben, sondern zum Leben. Noch einmal leben dürfen, ohne Schmerzen und im Hier und Jetzt zu sein.

Wortlos sieht uns Nadine fragend an. Sie setzt sich, legt den sorgfältig vorbereiteten Zettel beiseite und beginnt bedächtig zu reden. Bei ihrem Vater wurde bei einer Zufallsuntersuchung ein Gehirntumor festgestellt. In dem Augenblick ist alles anders. Nicht nur der Betroffene wird aus dem Leben gerissen, sondern es ist ein nicht wahrzuhabender Abschied für alle. Zukunftspläne verschwinden und es ist nur noch der Augenblick, der zählt. Während Nadine leise spricht, versuche ich, sie zu lesen. Was mag sie empfinden? Es sind nicht die Worte, die sie spricht, sondern die traurigen Züge in ihrem Gesicht und die gebrochenen, kurzen Momente.

Das hier ist kein Job, es ist das reale Leben. Ich beobachte meinen mir gegenübersitzenden Kollegen. Er spricht kein Wort, hört zu, und auch ihn scheint die Situation ergriffen zu haben. „Mein Vater wurde zunächst auf einer Palliativstation versorgt“, erzählt Nadine. Zeit, ja Zeit, die gab es dort nicht für die Patienten. Das System der Patientenversorgung lässt kaum Raum für Menschlichkeit. Die Pflegenden wollen helfen – genau deshalb haben sie diesen Beruf gewählt. Doch unser Gesundheitswesen zwingt sie in ein Korsett aus Zeitvorgaben. Jede Minute ist durchkalkuliert, doch das Wichtigste bleibt oft auf der Strecke: Zeit für den Patienten. Das nette Wort, ein Halten der Hand und Zuhören. Dafür haben die Pflegekräfte einmal die Berufswahl getroffen und wurden genau darum betrogen.

Nadine erzählt vom Wünschewagen. Noch einmal fuhr sie mit ihrem Vater zu seinem Zuhause und besuchte die Burg Ehrenbreitstein. Wochenlang vorher freute sich ihr Papa auf diesen einen Tag. Ich fühle es und frage mich aber auch, wie es ist, zu wissen, dass auch dieser Tag vorbeigehen wird? Ich muss lernen zu verstehen, dass Todkranke den einen Augenblick erleben können. „Die Zeit für die Gäste bei uns hat eine ganz andere Bedeutung“, erzählt Dr. Schencking. „Sie steht, und jeder Moment dauert viel länger.“ Kennen Sie den Augenblick, wenn Sie vor der Mikrowelle stehen und ungeduldig warten, dass die Zeit abläuft? Tick Tack. Wie verschwenderisch wir sind. Für den Gast im Hospiz ist der Sonnenaufgang ein Schauspiel, das Zwitschern der Vögel ein unvergleichbares Konzert und das Jauchzen der Kinder im Kindergarten nebenan eine Reise in die eigene Kindheit zurück. Nur der eine Augenblick zählt.

Ein paar Tage war Nadine Gast im Hospiz und übernachtete kostenfrei in einem der wohnlichen Angehörigenzimmer. Ganz nah beim Vater sein. Vielleicht noch die Worte sprechen, die nicht gesagt worden sind. Mein Vater war vor etwa zehn Jahren an Demenz erkrankt. Es fing alles ganz harmlos an. Er erzählte eine seiner wunderbaren Geschichten aus seiner Zeit als Zechenarbeiter im Ruhrgebiet mit einer wunderbaren, lustigen Anekdote. Nur wenige Minuten später wiederholte er genau die gleiche Geschichte. Ich lachte an der gleichen Stelle wieder und ließ mir nichts anmerken, aber ich wusste, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Ich bin dankbar für die Zeit, denn ich fragte ihn alles aus, was ich immer wissen wollte, von ihm und meiner Mutter. Am Ende war alles gesagt und der Abschied begann. Mein Vater hatte nicht dieses unglaubliche Glück, in einem Hospiz gehen zu dürfen. Im vergangenen Jahr verstarb er in einem Krankenhaus, ohne reden zu können. Es war kein schöner Abschied. Wir waren tagelang bei ihm, aber der Abschied war schon viel früher gewesen. Ob er noch wusste, dass wir da sind, weiß ich nicht, aber immerhin konnten wir seine Hand halten. Mein Vater war mir fremd geworden und ich glaube, dass er das nie gewollt hätte.

So unfassbar stark Nadine auch ist, so war in jedem ihrer Worte zu spüren, wie es ihr ging. Auf der einen Seite der bevorstehende Abschied und auf der anderen Seite die Erleichterung, dass ihr Vater noch einmal leben darf, denn genau das ist es im Hospiz. Es ist nicht das Sterben, sondern das Leben für ein paar Tage. Die Patienten sind Gäste in einer 5-Sterne-Wohlfühloase mit hochemphatischen Begleitern. Ich mag sie an der Stelle nicht Pfleger nennen, denn es ist viel mehr. Neugierig empfangen sie jeden neuen Gast und freuen sich auf die Zeit mit ihm. Das mag verrückt klingen, aber kann es etwas Schöneres geben?

Im Eingangsbereich steht die offene Küche, an der Seite stehen Musikinstrumente. Dr. Schencking erzählt, dass vor ein paar Tagen ein Gast sich eine Gitarre holte und leise im Zimmer spielte. Wie begreifen wir Menschen das Leben nur, ohne zu verdrängen? Können wir in dem einen Augenblick verharren? Viel zu oft lassen wir uns von Narzissten vereinnahmen, die nur um sich selbst kreisen. Sie reden geschickt, doch ihre Welt endet bei sich selbst. Solche Begegnungen rauben uns wertvolle Zeit – Zeit, die wir besser in echte Verbindungen investieren sollten. Und genau solche Menschen muss man aus seinem Leben verbannen.

Noch sieben Tage. Bis zum 31. März ist der Aufenthalt für Nadines Vater im Hospiz von den Krankenkassen genehmigt. Sterben mit Ablaufdatum. Die Perversion eines Systems, in dem das Leben kaum zählt, denn das Sterben ist Teil des Lebens – und darf man nicht in Würde gehen? Nicht jeder hat das große Glück, einen Platz im Hospiz zu bekommen. Meist wird er erst kurz vor dem tatsächlich vermuteten Sterbedatum gewährt. „Im Durchschnitt bleiben die Gäste etwa vier bis sechs Tage im Hospiz“, erklärt Dr. Schencking. Ich wünschte den Gästen mehr Zeit.

Mein Traum war es immer, mich verabschieden zu dürfen. Ich möchte keinen Herzinfarkt oder Schlaganfall, sondern die Hand meiner Frau halten dürfen. Vielleicht ist das egoistisch, aber auch der Tod ist kein Wunschkonzert. Was mag die Gäste im Hospiz beschäftigen? Sie wissen, dass es ein Abschied ist. Ein Leben lang begleitete Nadine ihren Vater auf ihrem Lebensweg. Mal weiter weg, aber er war immer erreichbar. Diesmal gibt es keinen gemeinsamen Weg mehr. Keinen Urlaub zusammen und auch keinen Spaziergang mehr. Ihr Vater wird den letzten Schritt alleine gehen müssen. Ein Weg ins Licht oder in die Dunkelheit? Ihr habt euch sicherlich auch mit dem Thema beschäftigt. Was kommt danach? Nur noch Stille? Ein Nichts oder eine Erkenntnis? Wird man sich wiedersehen? Ich habe einen Kloß im Hals. Wie wird es wohl Nadine ergehen?

Mein Blick auf das Nassauer Hospiz hat sich noch einmal nachhaltig verändert. „Wer nur ein Leben rettet, der rettet die ganze Welt“ ist ein hebräischer Spruch. Und ja: Ihr ermöglicht Leben für die letzten Tage. Ihr hört zu, haltet und lest denen vor, die keine Stimme mehr haben. Danke, dass es euch gibt.

90 Prozent der Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. „Keine Selbstverständlichkeit“, wie Dr. Schencking erklärt. Früher wurde das nahezu gar nicht gefördert, und Krankenhausträger nahmen das auf ihre eigene Kappe. Soll man jetzt dankbar sein für 90 % Förderung? Die restlichen zehn Prozent für ein würdiges Sterben werden durch Spenden erbracht. Danke an die tollen Spender – doch auch hier läuft doch wohl etwas falsch. Die stellvertretende Pflegedienstleiterin Kerstin Vogt erzählt mir, wie sie einem Gast eine Aromatherapie auf die Haut einrieb und wie sehr sich der Mann freute. Sie spielten zusammen ein Gesellschaftsspiel und lachten. Dafür ist kein Geld da, liebe Krankenkasse?

Jeder Gast im Haus hat sein Buch des Lebens geschrieben. Ein unglaublicher Schatz und so wertvoll. Muss man dem nicht genauso begegnen? Ich bin dem Hospiz dankbar und auch Nadine, denn auch mir hat das ein Stück weit die Augen geöffnet. Ich bin 54 Jahre alt. Ich habe einen Job, der kaum Zeit für die Familie lässt. Im seltenen Urlaub sitze ich am Pool und schreibe auf dem Notebook. Ich funktioniere. Gemeinsamkeiten habe ich mit meiner geliebten Frau, wenn ich auf Reportagen unterwegs bin. Sie hilft – und das war dann oft die Zweisamkeit. Ist euch etwas in den vergangenen Tagen aufgefallen? Ja, genau. Es kam weniger im BEN Kurier. Draußen schien die Sonne. Wir setzten uns früh nachmittags in den Hof, holten ein Kartenspiel heraus, im Hintergrund lief das Radio, und wir verbrachten eine echt gute Zeit miteinander. Wir redeten, hörten einander zu und hatten Spaß.

Das Gleiche machten wir in den Tagen darauf. Leben. Wie oft gehe ich mit meiner Zeit um, als wäre sie unendlich. Dort die Glotze und nicht zu vergessen die sozialen Medien und das Handy. Vor ein paar Wochen trafen wir uns daheim mit Freunden zu einem Karaokeabend. Oh, wie wertvoll. Nicht, dass wir singen können, sondern einfach mit unfassbar tollen Menschen gemeinsam Zeit zu verbringen. Zu sehen, wie fröhlich sie sind, wie sie lachen und ungezwungen miteinander umgehen. Auch ich muss erst einmal wieder lernen zu leben – und es wird echt Zeit. Danke an das Hospiz für den Einblick, für eure unfassbar große Empathie und Wärme und dafür, dass ihr es schafft, ohne Worte aufzuzeigen, was das Leben wirklich bedeuten kann.

Und eines wird mir am Ende noch bewusster: Es gab so einige Unbelehrbare zum Hospiz. Es gab Bedenken. Jeder darf protestieren und seine Meinung äußern, aber mich beschämt das. Unter anderem wurde das begründet mit der Sorge, dass Rettungswagen mit hoher Lautstärke anfahren könnten oder man den Kindern nebenan in der Kita das nicht antun könnte, todkranke Menschen zu sehen. Was ist nur los mit der Gesellschaft? Nein, die Gäste kommen nicht mit Blaulicht, und die Kinder sind es, die Menschen als Menschen sehen und nicht die Krankheit. Wie verlogen muss man denn nur sein?

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