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Politik

Rede des Fraktionsvorsitzenden der Grünen Carsten Jansing zum Kreishaushalt 2022

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Rede des Fraktionsvorsitzenden der Grünen Carsten Jansing zum Kreishaushalt 2022 (Foto: Grüne Rhein-Lahn)
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RHEIN-LAHN Sehr geehrter Herr Landrat, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren. Ich möchte mit den Worten unseres verstorbenen Fraktionsvorsitzenden Leo Neydeck aus seiner Haushaltsrede im Jahr 2019 beginnen: „Wir sind nicht frei in unseren Entscheidungen, sondern hängen am Tropf von Fördertöpfen, also was Andere gerade für geboten und förderungswürdig halten und stehen unter dem Genehmigungsvorbehalt durch die ADD.“

Dies gilt leider auch heute noch. Für uns ehrenamtliche Politiker*innen auf allen kommunalen Ebenen, im Kreis, in den Verbandsgemeinden und in den Ortsgemeinden ist dieser Zustand eine immer neue Herausforderung. Für meine erste Haushaltsrede hier im Kreistag hätte ich mir daher sicherlich auch bessere Zahlen gewünscht, als einen geplanten Jahresfehlbetrag von mehr als 22 Millionen Euro.

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Dieses Gremium hat im vergangenem Jahr mehrheitlich und gegen die Stimmen der Grünen Fraktion den Kreisumlagesatz gesenkt und damit die Einnahmebasis des Kreises geschwächt, trotz der schon damals absehbaren Belastungen aus der Corona-Krise. Dies war ein Fehler und wir werden nun hoffen müssen, dass dieser Haushalt trotz der von der ADD angemahnten Umlagenerhöhung Bestand hat.

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Ich möchte an dieser Stelle dem Kollegen Göller danken, der im Vorfeld unserer Beratungen versucht hat, einen tragfähigen Kompromiss aus Sparen und einer moderaten Umlagenerhöhung zu erwirken. Die Grüne Fraktion wäre für einen Kompromiss bereit gewesen. Aus Verantwortung für die Kreisfinanzen hätten wir einer Umlagenerhöhung, mindestens als Rücknahme des Beschlusses aus dem letzten Jahr zugestimmt. Dafür war aber keine Mehrheit in Sicht.

Mit der vom Kreiskämmerer prognostizierten Finanzverschlechterung des Kreises werden wir in der Zukunft um die Frage Sparen und/oder Umlageerhöhung nicht herumkommen. Auf die Grünen wird in dieser Frage Verlass sein, wir stehen für nachhaltige und verantwortbare Finanzen.

Wir werden als Fraktion diesem Haushalt mehrheitlich zustimmen, auch wenn der Klimaschutz -als Überlebensfrage der Menschheit- im Kreishaushalt noch immer nicht die allerhöchste Priorität hat. So kommen wir beispielsweise mit dem neuen Linienbündel Ahrtal beim Ausbau des ÖPNV zwar weiter voran, dennoch bleibt der enorme Autoverkehr nach wie vor ein riesiges Problem, für den CO2 Ausstoß, aber auch mit Lärm- und Feinstaubbelästigung im konkreten Alltag der Menschen. Es passt dann leider ins Bild, dass beim Ausbau des Ladenetzes für E-Mobilität der Rhein-Lahn Kreis im neuen Ranking des VDA (Verbands der Automobilindustrie) auf Platz 373 von 399 untersuchten Kommunen rangiert. Das ist kein Ruhmesblatt.

Auf Initiative unserer Fraktion wird das Radwegenetz im Kreis nun untersucht und wir können auf Basis eines Plans dann in den nächsten Jahren auch hoffentlich mehr Radwege bauen. Es geht voran, aber sehr langsam. Und angesichts der Kassenlage bin ich  gespannt, wie die Priorisierung des Klimaschutzes in diesem Gremium in Zukunft aussehen wird.

Beim Ausbau der erneuerbaren Energien, der Elektromobilität und dem Artenschutz bleibt unser Kreis hinter seinen Möglichkeiten. Was möglich ist, zeigt uns unser Nachbar, der Rhein-Hunsrück Kreis, der nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv ist. Hier ist ein weites Betätigungsfeld offen für unsere neue Klimaschutzmanagerin. Wir regen an, bei Kreisbeschlüssen vorab verpflichtend die Klimaauswirkung der Beschlüsse zu untersuchen. Ein „Klimacheck“ wie ihn die neue Ampelregierung jetzt einführen will, wäre auch für die Beschlüsse des Kreistags von Vorteil.

Dennoch möchten wir als Grüne Fraktion -quasi im Kontrast zu den vorab dargestelltem negativen Zahlenwerk- auch betonen, dass der Kreis mit seinen Investitionen und Ausgaben viel Gutes für die Region tut. In Schulen, KITAs, in die Breitbandversorgung, im ÖPNV, bei Klimaschutzmaßnahmen und mit einem sehr großen Haushaltsanteil im Bereich Soziales. Die Maßnahmen des Kreises und die Arbeit seiner Mitarbeiter*innen verbessern ganz konkret das Leben der Bürgerinnen und Bürger im Rhein Lahn Kreis.

Kinder und Jugendliche sind von der aktuellen Corona-Situation in ihren Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten stark betroffen. Die meisten Kinder und Jugendlichen werden Belastungen und Defizite, die durch die Pandemie verursacht werden, überwinden können. Manche Kinder und Jugendliche werden hingegen kurz-, mittel- und wahrscheinlich auch langfristig von Belastungen und erlittenen Defiziten begleitet werden. Die Pandemie wirkt aber gerade für die finanziell schwachen Familien
als Verstärker bereits zuvor bestehender Ungleichheiten. 
Die jetzt notwendigen Mehrinvestitionen im Bereich der Jugendhilfe im Vergleich zu den Vorjahren sind höchstwahrscheinlich auf Kollateralschäden der notwendigen restriktiven Corona-Maßnahmen zurückzuführen. Es ist daher gut, dass der Kreis hier mehr Geld ausgibt, um die Schäden zu lindern.

Präventiv müssen aus unserer Sicht besonders folgende Punkte gewährleistet werden: – das Offenhalten von Bildungseinrichtungen unter Berücksichtigung geeigneter Schutzmaßnahmen und Ermöglichen eines Präsenzbetriebs, da für nahezu alle Kita-Kinder und Schulkinder der Präsenzbetrieb in Kitas und Schulen die effektivste Art des Lernens und für den sozialen Austausch immens wichtig ist. – Beschleunigung des Ausbaus der digitalen Infrastruktur der Bildungseinrichtungen – Nachhaltige Sprachförderung zum Erlernen der deutschen Sprache durch standardisierte frühe Sprachdiagnostik und den Ausbau von alltagsintegrierter sprachlicher Bildung als fester Bestandteil der Kindertagesbetreuung. – zusätzliche Förderinstrumente für Schüler*innen mit schwächeren schulischen Leistungen in der Primar- und Sekundarstufe. – Ausbau der Informationsangebote zu vor Ort verfügbaren Fördermaßnahmen (sowie Mentoring-Programme zur Unterstützung der psychosozialen Entwicklung und Förderung der Bildungsmobilität. – Ausbau einer bewegungsfördernden Infrastruktur für Kinder und Jugendliche, (idealerweise tägliche Bewegungsangebote in Kitas und Schulen sowie umfassende Programme zur Förderung eines gesunden Lebensstils in Kitas und Schulen (Ernährung, Schlaf, körperliche Aktivität.

Fast alle diese Maßnahmen finden sich schon zumindest ansatzweise im vorliegenden Haushalt bzw. sind in dem im vergangenen Jahr vom Kreistag auf den Weg gebrachten Bildungskonzept enthalten. Bei allem negativen Blick auf die Mehrausgaben, müssen wir diese positiven Auswirkungen im Blick behalten

Zum BTHG und Kita Zukunftsgesetz:

Beide Gesetze beeinflussen den Haushalt maßgeblich. Selbstverständlich geben wir den Kritikern im Kreistag recht, die sagen, wer solche Gesetze macht- Land und Bund- muss auch bei der Finanzierung ihrer Durchführung maßgeblich unterstützen. Deshalb muss unsere Kreisverwaltung aber dennoch handlungsunfähig bleiben und die nötigen Schritte veranlassen können, so dass unsere Gesellschaft sozial nicht weiter auseinander driftet und beispielsweise Alleinerziehende einen ganztägigen Kitaplatz für
ihre Kinder bekommen können, dann nicht von Sozialhilfe leben müssen, sondern Ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Oder das Menschen mit Behinderungen die größtmögliche Unterstützung bekommen um gleichwertig ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dies sind für uns Garanten einer solidarischen Gesellschaft und der Kreis leistet hier Enormes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen sie mich zum Schluss meinen Dank aussprechen an die Mitarbeiter*innen der Kreisverwaltung, die in dieser schweren Corona Zeit ihr Bestes geben. Insbesondere gilt der Dank den Mitarbeitern im Gesundheitswesen, die eine Herkulesaufgabe zu  bewältigen haben und dies gelingt im Rhein-Lahn Kreis mit gutem Erfolg. Schauen wir gemeinsam mit Zuversicht auf die kommende Zeit, wenn die Pandemie hinter uns liegt, werden wir eine große Aufgabe gemeinsam bewältigt haben und können daraus Kraft schöpfen für die Zukunftsaufgabe der Transformation in eine klimaneutrale Welt. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

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Politik

Bürgermeister Weiland fordert barrierefreie Bahnhöfe in der Loreley

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Foto: VG Loreley | Mike Weiland
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ST. GOARSHAUSEN Nachdem jetzt im Verbandsgemeinderat Loreley von einen Bahnvertreter das Projekt der Deutschen Bahn InfraGo „Hochleistungskorridor Rechter Rhein 2026“ vorgestellt wurde, hat sich Mike Weiland, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Loreley, an die rheinland-pfälzische Staatsministerin Katrin Eder gewandt, die sich für den Schienenpersonennahverkehr zuständig zeichnet.

„Mit diesem weiteren Versuch an einer verantwortlichen Stelle anzuklopfen, möchte ich um Engagement dafür werben, dass im Zuge des Hochleistungskorridors 2026 die Bahnstationen nicht nur saniert, sondern auch barrierefrei gestaltet werden“, so Mike Weilands Intension. Während der Vorstellung im Rat entwickelte sich nicht nur eine intensive Diskussion über den zu erwartenden flüssigeren und damit höheren Zugdurchfluss durchs Mittelrheintal sowie zu wenig Lärmschutz für die Anwohner, sondern vor allem auch darüber, dass die Bahnverkehrsstationen im Rahmen dieses Bundesprojektes nicht barrierefrei gestaltet werden sollen, weil sich die Bahn darauf beruft, dass sämtliche Stationen keine 1.000 Ein- bzw. Ausstiege an Fahrgästen vorweisen können.

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Weiland: Barrierefreiheit der Bahnverkehrsstationen im Rahmen des Hochleistungskorridors 2026 muss geschaffen werden

Mike Weiland schreibt daher jetzt an die Ministerin, dass bei diesem Bundesprojekt Millionen von Euro investiert würden. An der Barrierefreiheit werde jedoch gespart bzw. diese werde einfach nicht umgesetzt. Gerade bei Bundesprojekten gibt es einen Leitfaden Barrierefreies Bauen zu beachten. Der Bürgermeister fragt daher jetzt die Ministerin, weshalb sich bei dem Bundesprojekt Hochleistungskorridor die Bahn über die Barrierefreiheit einfach so hinwegsetzen kann.

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„Bei jeder noch so kleinen kommunalen Maßnahme, für die die Gemeinden und Städte Förderungen beantragen, ist Barrierefreiheit zu beachten, ansonsten haben solche Anträge keine Aussicht auf Erfolg“, so Mike Weiland. Daher können und wollen die Mitglieder der politischen Gremien dieses Vorgehen beim Hochleistungskorridor nicht nachvollziehen und akzeptieren.

Mike Weiland hat daher Ministerin Eder nicht nur um eine Erläuterung sondern vielmehr noch um entsprechendes Engagement gebeten, sich im Sinne der Barrierefreiheit bei der Umgestaltung der Bahnverkehrsstationen im Zuge des Hochleistungskorridors 2026 einzusetzen. „Dafür wäre ich der Ministerin im Sinne derjenigen Mitmenschen, die darauf angewiesen sind, sehr dankbar“, so Weiland und er schließt damit ab, dass es bei einem solch millionenschweren Bundesprojekt auch im Hinblick auf die BUGA29 nicht sein könne, die Herstellung der Barrierefreiheit auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben oder gar die Hoffnung zu hegen, dass später Kommunen diese kostspielige Aufgabe übernehmen.

Das Schreiben an die Ministerin hat der Bürgermeister auch gleichzeitig an die Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen geschickt, um auch von ihr eine Einschätzung zu erhalten.

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Politik

Verzerrte Wahlergebnisse: Güllering fordert – Briefwahl muss mit in Wahllokalen ausgezählt werden

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Foto: BEN Kurier | Lizenz: Envato
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NASTÄTTEN Nach der Bundestagswahl wendet sich der Nastätter Verbandsbürgermeister Jens Güllering mit einem dringenden Anliegen an den Landeswahlleiter Marcel Hürther. Bereits 2017 hatte Güllering die Problematik der zentralen Briefwahlauszählung angesprochen – geändert hat sich seitdem nichts. Angesichts eines steigenden Anteils an Briefwählern wächst jedoch die Dringlichkeit des Problems. In einem Schreiben an den Landeswahlleiter fordert er eine Anpassung der Vorschriften.

„Da die Wahlergebnisse der Briefwahl nicht den einzelnen Stimmbezirken zugeordnet werden, führt diese zentrale Stimmenauszählung zu einer schlicht und ergreifend falschen Ergebnisdarstellung“, kritisiert Güllering. Gerade in kleineren Gemeinden sei das Interesse der Bürger groß, zu wissen, wie vor Ort abgestimmt wurde. „Die Menschen interessieren sich für ‚ihr‘ Ergebnis und möchten sich damit auseinandersetzen“, so der Bürgermeister.

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Bei der diesjährigen Bundestagswahl lag der Briefwähleranteil in der Verbandsgemeinde Nastätten bei 40,5 %. Güllering sieht hier eine massive Verzerrung der Wahlergebnisse auf lokaler Ebene: „Die Veröffentlichung von falschen Ergebnissen – verstärkt durch entsprechende Grafiken – wirft ein Bild auf bestimmte Gemeinden, das nicht das tatsächliche Stimmverhalten widerspiegelt.“ Dies könne nicht nur zu Nachfragen, sondern sogar zu verbaler Kritik und Anfeindungen führen, betont er. Besonders die Schnelllebigkeit sozialer Netzwerke verstärke dieses Problem noch zusätzlich.

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Die Lösung sieht Güllering in der Auszählung der Briefwahlunterlagen direkt in den Wahllokalen. „Dies wäre aus meiner Sicht unproblematisch möglich und in der Abwägung zwischen gewollter Entlastung der Wahlhelfer und einer korrekten Ergebnisdarstellung unbedingt den Vorzug zu geben.“ Zudem ließen sich dadurch landesweit hunderte Wahlhelfer einsparen oder anderweitig einsetzen, so der Bürgermeister weiter. In der Verbandsgemeinde Nastätten mussten 40 Verwaltungsmitarbeiter für die Briefwahlauszählung abgestellt werden, im gesamten Wahlkreis Montabaur waren es 67 Briefwahlvorstände.

Ein weiteres Problem sieht Güllering in den amtlichen Veröffentlichungen: Auch auf der offiziellen Wahlseite des Landes Rheinland-Pfalz würden falsche Ergebnisse auf Gemeindeebene dargestellt – mit entsprechendem Einfluss auf die Presseberichterstattung. „Nicht selten kommt es dadurch zu unverschuldeten Fehlinterpretationen“, mahnt er. Eine Anpassung der Vorschriften sei daher dringend erforderlich.

Neben dem Schreiben an den Landeswahlleiter hat Güllering auch den Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz sowie die örtlichen Wahlkreisabgeordneten informiert und um Unterstützung gebeten. Das Anliegen wurde zudem an die Bundeswahlleiterin weitergeleitet. Ob die Politik auf diese Forderungen reagiert, bleibt abzuwarten.

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Koblenz

Koblenz: Muslime positionieren sich für Deutschland und gegen Extremismus

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KOBLENZ Mehr als 400.000 Afghanen leben in Deutschland. Nach den schrecklichen islamistisch motivierten Terroranschlägen von Mannheim und München stehen sie zunehmend unter Generalverdacht. Dabei entspricht der Anteil der Täter an der Gesamtzahl der hier lebenden Afghanen lediglich 0,0005 Prozent. Ähnlich ergeht es derzeit syrischen Flüchtlingen.

Generalverdacht statt individueller Verantwortung

Nach dem Attentat auf einen Polizisten in Mannheim sind auch Syrer verstärkt ins Visier geraten. Ende 2023 lebten rund 700.000 syrische Flüchtlinge in Deutschland, von denen mehr als 200.000 bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Doch trotz ihrer Verurteilung der Anschläge sehen sich viele von ihnen Misstrauen und Fremdenhass ausgesetzt.

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Insbesondere nach islamistischen Angriffen ist der öffentliche Aufschrei groß. Rechte Politiker nutzen solche Ereignisse, um pauschale Forderungen nach Abschiebungen zu stellen – oft unabhängig davon, ob die Betroffenen in irgendeiner Weise mit den Taten in Verbindung stehen. Anstatt Einzelfälle differenziert zu betrachten, wird eine ganze Bevölkerungsgruppe stigmatisiert. Der Schutzstatus der Betroffenen wird dabei ausgeblendet, und so sind sie oft der Angst und dem Hass der deutschen Bevölkerung schutzlos ausgeliefert.

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Diese Entwicklung ist besorgniserregend, denn während das Gesetz Kollektivstrafen verbietet, zeigt sich in der gesellschaftlichen Debatte genau das Gegenteil. Es gibt eine Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Flüchtlingen: Während Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine weitgehend unbürokratisch eine Aufenthaltserlaubnis und damit Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, müssen Afghanen und Syrer monatelange Asylverfahren durchlaufen. Ihre Arbeitsaufnahme unterliegt strengen behördlichen Genehmigungen, und oft bleibt ihnen nur der Weg in Flüchtlingsunterkünfte, während für Ukrainer der Wohnungsmarkt weit offener ist. Diese Ungleichbehandlung führt zu Perspektivlosigkeit und Frustration.

Mit jeder neuen Tat wächst das Misstrauen gegenüber Schutzsuchenden, obwohl sie selbst oft die ersten sind, die solche Verbrechen verurteilen. Dennoch erfahren sie kaum Solidarität, sondern vielmehr Ausgrenzung. Die Debatte wird zusätzlich durch populistische Forderungen nach präventiver Abschiebung von Straftätern befeuert. Natürlich muss gegen Intensivtäter konsequent vorgegangen werden, doch nicht immer ist das rechtlich oder diplomatisch möglich. Afghanistan etwa verweigert die Rücknahme seiner Staatsbürger, da es keine offiziellen Beziehungen zu Deutschland unterhält.

Rechtsextremismus als unterschätzte Gefahr

Wichtig ist, den Schutz jener Menschen nicht aus den Augen zu verlieren, die sich integrieren wollen und nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürfen. Die Gesellschaft muss sich fragen, was sie bereit ist, auszuhalten und wie sie mit Angst umgeht. Eine Zweiklassengesellschaft unter Flüchtlingen ist nicht der richtige Weg – es braucht gleiche Perspektiven für alle.

Ein starkes Zeichen gegen diese Spaltung setzten Muslime in Koblenz, die sich öffentlich für Deutschland und gegen Gewalt aussprachen. Solche Aktionen sind selten und zeigen, dass sich hier etwas im gesellschaftlichen Empfinden verschiebt. Täter müssen als Individuen betrachtet werden – eine kollektive Vorverurteilung macht Opfer zu Tätern und wird von rechten Parteien für eigene Zwecke instrumentalisiert.

Dabei wird oft übersehen, dass rechtsextremistisch motivierte Straftaten in Deutschland stark zugenommen haben. Laut Verfassungsschutz stieg die Zahl solcher Taten von 2022 auf 2023 um 22,4 Prozent, gewalttätige Übergriffe nahmen um 16,4 Prozent zu. Das rechtsextreme Personenpotenzial wuchs von 32.000 im Jahr 2019 auf 40.600 im Jahr 2024, darunter 13.500 gewaltbereite Extremisten. Insgesamt wurden 2023 mehr als 25.660 rechtsextremistische Straftaten registriert – durchschnittlich 70 pro Tag.

Demgegenüber ist das islamistische Personenpotenzial seit 2019 auf 27.200 gesunken. Dennoch bleiben islamistische Anschläge aufgrund ihrer oft hohen Opferzahlen tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Während rechtsextreme Gewalt häufig aus Körperverletzungen und Angriffen besteht, führen islamistische Taten oft zu schwerwiegenden Verbrechen mit vielen Opfern. Genau diese Dimension prägt die Wahrnehmung und verstärkt Ängste.

Am Ende wird nicht mehr auf den Einzeltäter geschaut. Die Gesellschaft verharrt in Angst und verurteilt pauschal ganze Bevölkerungsgruppen. Doch ist das gerecht? Während rechtsextreme Straftaten 0,03 Prozent der Gesamtbevölkerung betreffen, liegt die Zahl islamistischer Taten bei Afghanen bei nur 0,0005 Prozent.

Gleichzeitig nutzen Rechtsextreme soziale Medien geschickt zur Mobilisierung und erhalten eine beunruhigend große Lobby. Doch am Ende gilt: Nicht derjenige, der am lautesten schreit, hat automatisch recht – sondern der, der mit Vernunft reagiert und über seine Angst hinauswächst.

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