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Caritas-Bericht deckt auf: Barfuß, krank, ohne Rollstuhl – wie Deutschland wirklich abschiebt Der Tätigkeitsbericht 2024 der Abschiebungsbeobachtung offenbart dramatische Missstände – trotz professioneller Bundespolizei

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Caritas-Bericht deckt auf: Barfuß, krank, ohne Rollstuhl – wie Deutschland wirklich abschiebt
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RHEIN-LAHN|FRANKFURT Der Frankfurter Flughafen bleibt das Zentrum des deutschen Abschiebesystems. 6.342 Menschen wurden 2024 von hier aus außer Landes gebracht, mehr als an jedem anderen Standort. Bundesweit stiegen die Zahlen auf 20.084 Abschiebungen, ein Anstieg um rund 22 Prozent. Hinter diesen nüchternen Statistiken verbirgt sich jedoch ein System, dessen größte Schwachstellen nicht im sichtbaren Vollzug am Flughafen liegen, sondern im Verborgenen davor. Der Tätigkeitsbericht 2024 der Abschiebungsbeobachtung Frankfurt zeigt auf erschütternde Weise, wie Menschen abgeholt, behandelt, medizinisch begutachtet und durch Behörden zugeführt werden – und wo der Rechtsstaat im Alltag seiner Vollzugsbehörden an Grenzen stößt.

Auffällig ist, wie klar der Bericht zwischen zwei Ebenen unterscheidet: dem Verhalten der Bundespolizei am Flughafen und dem Vorgehen der Landespolizeien und Ausländerbehörden, die die Betroffenen dorthin bringen. Während die Bundespolizei ein überwiegend respektvolles, professionelles Verhalten an den Tag legt, beginnt das Problem viel früher. Die Beobachtungsstelle beschreibt einen Vollzug, der vielfach in den Wohnungen der Betroffenen in den frühen Morgenstunden beginnt – mit Abläufen, die in ihrer Dramatik oft unbemerkt bleiben, aber tief in die Menschenwürde eingreifen.

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So dokumentiert der Bericht Fälle, in denen Menschen mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und ohne Möglichkeit, sich anzukleiden oder zu packen, zum Flughafen gebracht wurden. Eine nigerianische Mutter etwa wurde nachts aus ihrer Wohnung geholt, trug lediglich eine Jeans und einen BH, ihr kleiner Sohn kam im Schlafanzug und barfuß am Flughafen an. Gepäck gab es nicht, warme Kleidung erst recht nicht. Erst im Terminal bemühten sich Ehrenamtliche und Beamte der Bundespolizei, über Kleiderkammern und Bahnhofsmission das Nötigste zu organisieren. Die Szene, wie ein frierendes Kind barfuß in den Abflugbereich geführt wird, steht sinnbildlich für einen Vollzug, der an seinen empfindlichsten Stellen versagt.

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Noch erschütternder wirken die Fälle, in denen schwerbehinderte Menschen betroffen sind. Der Bericht beschreibt einen Jungen, schwerstbehindert, nicht gehfähig, abhängig von Hilfsmitteln und eigentlich liegend zu transportieren. Als die Landespolizei ihn abholt, fehlt jedoch nicht nur der Rollstuhl – es fehlen sämtliche Hilfsmittel, die das Kind braucht, um überhaupt sicher bewegt werden zu können. Der Junge wird schließlich in einem geliehenen Rollstuhl über den Flughafen transportiert, in dem die Mutter sitzt, während sie ihr Kind auf dem Schoß hält. Eine ärztliche Übergabe im Zielland war nicht organisiert, eine kontinuierliche Behandlung dort ebenfalls nicht. Was in diesem Fall sichtbar wird, ist mehr als eine organisatorische Lücke: Es ist ein strukturelles Versagen im Umgang mit schwerst verletzlichen Menschen.

Die Beobachtungsstelle beschreibt auch dramatische medizinische Widersprüche. Immer wieder stehen Atteste behandelnder Ärzte, die ausdrücklich von einer Abschiebung abraten, in klarem Gegensatz zu Fit-to-Fly-Bescheinigungen, die Behördenärzte kurzfristig ausstellen. Eine afghanische Mutter, wenige Tage zuvor an der Gebärmutter operiert und vom behandelnden Arzt mindestens drei Wochen als nicht reisefähig eingestuft, wird nachts abgeholt. Eine von der Ausländerbehörde beauftragte Ärztin erscheint in der Wohnung, begutachtet die Frau innerhalb weniger Minuten und erklärt sie für flugtauglich. Es gibt keine ärztliche Begleitung, keine organisierte Weiterbehandlung im Zielland, keine Sicherstellung, dass Medikamente verfügbar sind. Die Frau, die beim Tragen ihrer drei kleinen Kinder eigentlich nicht einmal minimale Lasten heben sollte, sitzt kurze Zeit später im Flugzeug. Dass ihre Weiterbehandlung später über private Kontakte der Abschiebungsbeobachtung und des behandelnden Arztes improvisiert wurde, ist kein Einzelfall, sondern symptomatisch: In keinem einzigen dokumentierten Vorgang war eine medizinische Weiterversorgung im Zielland vorbereitet.

Manchmal werden die Konsequenzen medizinischer Fehlentscheidungen erst im letzten Moment sichtbar. Ein Mann, der beim Zugriff aus dem Fenster gesprungen war und über starke Schmerzen klagte, wurde oberkörperfrei und mit einer Jacke über den Schultern zum Flughafen gebracht. Ein Fit-to-Fly war ausgestellt worden. Erst kurz vor dem Boarding fiel Beamten die deutliche Schwellung des Brustbereichs auf. Eine Notaufnahme bestätigte anschließend einen gebrochenen Schlüsselbein und eine ausgekugelte Schulter. Die Abschiebung musste abgebrochen werden – ein Zufall, der verhinderte, dass ein Verletzter im Flugzeug kollabiert.

Für autistische oder psychisch schwer belastete Menschen ist die Situation nicht minder dramatisch. Der Bericht beschreibt die Abschiebung eines autistischen Kindes, das nicht spricht und sensorisch hochsensibel ist. Die Mutter wurde während der Chartermaßnahme gefesselt. In ihrer Verzweiflung flehte sie die Beamten an, ihren Sohn „zur Adoption freizugeben“, damit er nicht abgeschoben wird. Für das Kind gab es keinen vorbereiteten ruhigen Raum, keine Fachkräfte, keine strukturierten Abläufe. Die Bundespolizei und Mitarbeiter der Beobachtungsstelle versuchten über Stunden improvisiert, das Kind zu beruhigen – ohne zu wissen, ob im Zielland überhaupt therapeutische Unterstützung verfügbar sein würde.

Ein weiteres gravierendes Problem zeigt sich, wenn Abschiebungen scheitern. Wird ein Flug nicht angetreten – etwa durch kurzfristige Gerichtsbeschlüsse oder weil eine Airline eine Mitnahme verweigert –, stehen Familien häufig plötzlich im Terminal. Es gibt keine einheitliche Regelung, wer für die Rückfahrt verantwortlich ist. Immer wieder bleiben Betroffene mittellos zurück, manche mit kleinen Kindern, manche mit mehreren Koffern, manche völlig erschöpft. In einigen Fällen wurde das zuvor ausgezahlte Handgeld wieder eingezogen, obwohl die Menschen in ihre Kommune hätten zurückgebracht werden müssen. Helfer berichten von Betroffenen, die erst durch Zufallsunterstützung einer Ehrenamtsgruppe oder durch Schwarzfahrten wieder in ihren Heimatort gelangten.

Bemerkenswert ist, wie deutlich sich die Beobachtungsstelle gleichzeitig zur Bundespolizei äußert. Die Beamten am Flughafen würden sich häufig vorbildlich verhalten, suchten das Gespräch, stellten sich mit Namen vor, erklärten Abläufe, ermöglichten Telefonate und verhielten sich deeskalierend. Sie versuchten, Versorgungslücken zu schließen, die andere Behörden zuvor verursacht hatten. Doch genau darin liegt das Dilemma: Die Bundespolizei steht am Ende eines Prozesses, über dessen frühere Phasen sie keine Kontrolle hat. Sie kann retten, was noch zu retten ist – verhindern kann sie das vorherige Unrecht nicht.

Die Träger der Abschiebungsbeobachtung, Diakonie und Caritas, sehen dringenden Handlungsbedarf. Diakoniepfarrer Markus Eisele betont, dass der rechtsstaatliche Vollzug glaubwürdig bleiben müsse. Nachtabschiebungen, widersprüchliche medizinische Einschätzungen und fehlende Betreuung seien nicht akzeptabel. Caritasdirektor Karl Weber fordert klare, bundesweit verbindliche Standards, insbesondere für Kinder, Kranke und Behinderte. Abschiebungen während laufender Behandlungen müssten grundsätzlich unterbleiben. Ebenso brauche es feste Regelungen, wie Rücktransporte nach gescheiterten Abschiebungen organisiert werden und welche Transparenzpflichten Ausländerbehörden gegenüber der Beobachtungsstelle haben.

Der Bericht macht deutlich, dass das deutsche Abschiebesystem an einem Punkt angekommen ist, an dem strukturelle Schwächen nicht mehr durch pragmatische Lösungen am Flughafen kompensiert werden können. Der Rechtsstaat zeigt sich nicht erst am Gate, im Flugzeug oder bei der Grenzkontrolle – er zeigt sich im Schlafzimmer eines siebenjährigen Kindes, das nachts aus dem Bett gerissen wird; in der Notaufnahme eines Krankenhauses, aus der Patienten gegen ärztlichen Rat entlassen werden; im Treppenhaus, in dem ein schwerstbehindertes Kind ohne Rollstuhl getragen wird.

Ein System, das Menschen mitten in der Nacht barfuß, krank, frisch operiert oder ohne Hilfsmittel zum Flughafen bringt, muss sich grundlegend fragen lassen, ob die Grenzen des Zumutbaren nicht längst überschritten sind. Der Tätigkeitsbericht 2024 ist kein politisches Papier, sondern eine nüchterne Dokumentation des Alltags. Gerade deshalb ist seine Wirkung so verstörend. Es ist ein Weckruf, der nicht ignoriert werden darf. Denn die Frage, wie ein Land in solchen Momenten handelt, ist am Ende eine Frage seiner Werte – und seines Gewissens (dk).

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Kriminalstatistik klar: In Nastätten fehlt jede Grundlage für eine Polizeiwache Nastätten hat kein Sicherheitsproblem – aber es hat ein Wahlkampfthema!

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Foto: BEN Kurier | Fotomontage
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NASTÄTTEN Im Blauen Ländchen wird wieder über Sicherheit gesprochen. Genauer gesagt: über eine mögliche Polizeiwache in Nastätten. Die CDU hat das Thema Ende November groß aufgezogen. Postkarten an alle Haushalte, dazu der Aufruf, diese direkt an Innenminister Michael Ebling zu schicken. »Sicherheit braucht Nähe«, so lautet der Slogan. Und wenn man die Kampagne so für sich stehen lässt, könnte man meinen, in Nastätten gäbe es ein drängendes Sicherheitsproblem. Doch wer hier wohnt, weiß: Das Bild stimmt so nicht. Und genau das zeigen auch die offiziellen Zahlen.

Denn während politisch Stimmung aufgebaut wurde, passierte im Ministerium – fast nichts. Nach Informationen des BEN Kurier sind bis vergangene Woche praktisch fast keine Postkarten eingegangen, von einem »Druck aus der Bevölkerung« also keine Spur. Innenminister Michael Ebling erklärte dem BEN Kurier deutlich, dass eine neue Polizeiwache in Nastätten nicht vorgesehen ist. Und er begründete das mit den Fakten: Die Kriminalitätslage gibt es schlicht nicht her. Gerade in Nastätten ist die Kriminalität auf einem niedrigen Niveau, seit Jahren. Initiator Cedric Crecelius teilte dem BEN Kurier mit, dass die Aktion erst am Donnerstag gestartet sei und viele Haushalte die Postkarten erst am Freitag erhielten,  weshalb zu diesem frühen Zeitpunkt naturgemäß noch kaum Schreiben im Ministerium eingegangen sein konnten.

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Zahlen stabil, Polizei präsent – und ein Modell, das hier wirklich funktioniert

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Ein Blick auf die Polizeistatistik der PI St. Goarshausen, die Nastätten betreut, genügt: 2021 wurden 871 Straftaten registriert. 2022 stieg die Zahl einmalig auf 1.101 – ein Ausreißer, den auch die Polizei so einordnet. Seitdem sinkt sie wieder: 945 Fälle im Jahr 2023, 957 im Jahr 2024. Ein ruhiges, überschaubares Niveau. Kein Brennpunkt, keine besondere Häufung, keine Entwicklung, die nach einer neuen Wache schreien würde. Auch die Pressestelle des Polizeipräsidiums Koblenz bestätigte dem BEN Kurier: Nastätten fällt statistisch nirgends aus dem Rahmen.

Doch was in der politischen Debatte untergeht, ist das, was in Nastätten tatsächlich den Unterschied macht: der Bezirksbeamte. Ein Modell, das im Blauen Ländchen schon lange funktioniert und das jetzt sogar erweitert werden soll. Staatssekretär Daniel Stich erklärte beim Blaulichtdialog in Nastätten, dass der Bezirksbeamte mindestens einmal pro Woche im Ort unterwegs ist. Und genau hier zeigt sich, was Sicherheit für viele Menschen wirklich bedeutet.

Ein Mann mit Namen. Ein Gesicht, das man kennt. Einer, der mitten im Ort steht, die Lage kennt, mit den Leuten spricht, im Laden mal angesprochen wird oder auf dem Parkplatz stehen bleibt, wenn jemand Sorgen hat. Ein Beamter, der nicht »im Einsatzwagen vorbeifährt«, sondern bewusst Anlaufstelle ist. Viele ältere Bürger nutzen genau dieses Angebot regelmäßig. Und junge Menschen sagen offen, dass sie das Gefühl haben, dass die Polizei »immer da ist, wenn es nötig ist«.

Dass dieses Modell künftig ausgebaut wird, ist genau das, was passgenau zu Nastätten passt. Kein Betonbau, keine neue Struktur, die am Ende doch nur an anderer Stelle Personal abzieht. Sondern mehr echte Präsenz, mehr Ansprechbarkeit, mehr Nähe. Und genau das ist das Gegenteil von dem, was die Postkartenkampagne suggeriert: dass etwas nicht stimmen würde.

Gefühl und Realität klaffen auseinander – wie immer vor einer Wahl

Wer länger im Blauen Ländchen lebt, kennt dieses Spiel. Immer wenn die Landtagswahl näher rückt, taucht das Thema »Polizeiwache in Nastätten« wieder auf. Mal mit dem Hinweis auf lange Wege, mal mit Umfragen, mal mit dem Verweis auf »wachsende Anforderungen«. Doch die Realität ist schlicht nicht dramatisch genug, um diese Forderung zu tragen. Die Entfernung zwischen St. Goarshausen und Nastätten liegt bei rund 14 Kilometern, weniger als zwischen Bad Ems und Geisig, wo niemand öffentlich über strukturelle Sicherheitslücken spricht. Und wenn die Polizei gebraucht wird, ist sie da. Punkt.

Stadtbürgermeister Marco Ludwig brachte es kürzlich auf den Punkt: Die Forderung nach einer Wache komme immer mal wieder, aber nicht, weil die Menschen sich unsicher fühlten. Und tatsächlich berichten viele Bürger aktuell sogar von einer sichtbaren Erhöhung der Polizeipräsenz im Ort.

Der Senioren-Sicherheitsberater spricht von einem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis bei den über 50-Jährigen. Jüngere sagen offen, dass sie keinen Anstieg an Straftaten oder Bedrohungen wahrnehmen. Und die Statistik gibt ihnen recht.

Wenn man all diese Puzzleteile zusammennimmt, entsteht ein klares Bild: Nastätten hat kein Sicherheitsproblem – aber es hat ein Wahlkampfthema. Und es hat ein Modell, das seit Jahren funktioniert: den Bezirksbeamten, der da ist, wenn es zählt. Weniger Schlagwort, mehr Mensch. Weniger Beton, mehr Präsenz. Und genau das macht im Blauen Ländchen bis heute den Unterschied.

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Unfallflucht in Becheln: Aufmerksamer Anwohner verfolgt Fahrer

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Foto: Ortsgemeinde Becheln
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BECHELN In der Nacht auf den 20. November kam es im Ortsbereich zu einem Verkehrsunfall, bei dem ein Transporter aus Richtung Dachsenhausen in der scharfen Kurve an der Kirche von der Fahrbahn abkam. Das Fahrzeug überfuhr den Bordstein, fuhr über den Rathausvorplatz und kam erst vor einem Wohnhaus zum Stehen. Dabei wurden eine fest installierte Absperrung sowie ein Fahnenmast erheblich beschädigt. Durch den Aufprall riss zudem die Ölwanne des Transporters auf, wodurch eine größere Menge Motoröl auf der L333 auslief.

Der Fahrer entfernte sich trotz der Schäden zunächst vom Unfallort. Ein aufmerksamer Anwohner, der den Vorfall beobachtet hatte, nahm geistesgegenwärtig die Verfolgung auf. Er konnte den Transporter schließlich im Bereich des Forsthauses in Richtung Frücht ausfindig machen und blieb dort gemeinsam mit dem Fahrer bis zum Eintreffen der Polizei. Durch sein entschlossenes Handeln trug er maßgeblich zur schnellen Aufklärung des Vorfalls bei.

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Die entstandene Ölspur wurde noch in der Nacht durch Einsatzkräfte beseitigt. Da die beschädigte Absperrung ersetzt werden muss, wurde durch den Bauhof Bad Ems zunächst eine provisorische Absperrung errichtet (pm Michaela Lehmler, Ortsbürgermeisterin in Becheln).

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Prozess um mutmaßliche kriminelle Gruppe in JVA Diez neu gestartet

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DIEZ Vor dem Landgericht Koblenz hat ein umfangreiches Strafverfahren begonnen, das sich mit mutmaßlichen Straftaten in der Justizvollzugsanstalt Diez befasst. Sechs Männer im Alter zwischen Mitte 30 und 50 Jahren müssen sich seit dieser Woche wegen des Verdachts verantworten, innerhalb der Haftanstalt eine Art hierarchisch organisierte Gruppierung aufgebaut zu haben.

Vorwürfe reichen von Erpressung bis zu Drogengeschäften

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sollen die Beschuldigten in den Jahren 2012 bis 2016 als geschlossene Gruppe agiert haben. Die Ermittler sprechen von einer Struktur, die intern als „Bruderschaft“ bezeichnet worden sein soll. Den Männern wird unter anderem zur Last gelegt, Mitgefangene unter Druck gesetzt zu haben, um Geldzahlungen oder Gefälligkeiten zu erzwingen.

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Auch nach der Haftentlassung soll der Einfluss einzelner Beteiligter nicht geendet haben: Frühere Insassen seien weiterhin eingebunden worden, teilweise als Helfer für mutmaßliche Drogengeschäfte oder zur Weitergabe illegaler Substanzen bei Besuchen in der JVA.

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Verfahren wurde schon einmal abgebrochen

Ein großer Teil der Vorwürfe lag bereits 2019 vor einem früheren Spruchkörper des Landgerichts. Dieses Verfahren musste jedoch kurz nach dem Auftakt beendet werden, weil sich Zuständigkeitsfragen ergeben hatten. Nun wird der Fall vor einer anderen Kammer vollständig neu verhandelt.

Das Gericht begründete die lange Verzögerung unter anderem mit der Auslastung der zuständigen Richter, die in den Jahren nach 2019 zunächst weitere umfangreiche Verfahren abarbeiten mussten.

Verteidigung beantragt Einstellung

Bereits zum Auftakt hat ein Verteidiger beantragt, das Verfahren aufgrund der langen Zeitspanne seit den mutmaßlichen Taten einzustellen. Es liege eine erhebliche Verfahrensverzögerung vor, die nicht mehr hinnehmbar sei, so sein Argument. Teile der übrigen Verteidigung schlossen sich dem Antrag an.

Die Lebenssituation der Männer habe sich nach Angaben ihrer Anwälte grundlegend verändert. Die meisten von ihnen seien inzwischen wieder auf freiem Fuß, stünden im Arbeitsleben oder hätten eine Familie gegründet. Ein jahrelanger Prozess mit ungewissem Ausgang könne ihre Resozialisierung massiv gefährden.

Zahl der Angeklagten hat sich reduziert

Ursprünglich umfasste die Anklage zehn Personen. Inzwischen sind nur noch sechs Männer verblieben; fünf von ihnen erschienen zum ersten Verhandlungstag. Zwei Verfahren waren zuvor abgetrennt und bereits beendet worden. Ein weiterer früherer Beschuldigter wurde laut Gericht nach Russland abgeschoben, ein anderer gilt derzeit als nicht auffindbar.

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